Die härtesten Studiengänge Deutschlands: Jura

24 % brechen ab, ein Drittel besteht das Staatsexamen nicht, die Menge an Stoff ist überwältigend: Ist das Jurastudium reif für eine Reform?

Es gibt entspannte Studiengänge mit viel Freizeit, wenig Leistungsdruck und einer entspannten Atmosphäre. Und dann gibt es “Die härtesten Studiengänge Deutschlands”, die wir dir in dieser Reihe vorstellen. Dabei geht es nicht darum, einen Studiengang schlecht zu machen oder jemanden abzuschrecken. Vielmehr solltest du genau wissen, worauf du dich einlässt, was das Studium so schwer macht und für welche Veränderungen du dich einsetzen kannst.

Better call Saul?

Manchmal gehen Studis mit recht realitätsfernen Vorstellungen an die Uni. Bei einigen ist das Bild eines Juristen durch John-Grisham-Hollywood-Blockbuster geprägt. Oder Saul Goodman, den windigen, aber sympathischen Advokaten aus der Serie Breaking Bad. Unrecht bekämpfen, Gerechtigkeit abliefern, Justitia umarmen, spektakuläre Prozesse führen und nach einem langen Tag im Gerichtssaal mit den Kolleg*innen teure Drinks in irgendwelchen Lounges kippen. Daran, dass ein Drittel aller Studierenden niemals das Staatsexamen bestehen wird, will man lieber nicht denken. 

Auch die eigene Leistungsfähigkeit kann überschätzt werden. Viele Jura-Frischlinge kommen straight vom Abitur, haben gute Noten und denken, dass sie mit dem richtigen Mindset und genügend Selbstdisziplin das Kind schon schaukeln werden. Doch so einfach ist es leider nicht. 

Nur das Staatsexamen zählt

Das Jurastudium hat ein klares Ziel: ein bestandenes Staatsexamen. Und das hat es richtig in sich! Knapp ein Drittel aller Studierenden fällt durch. Und dann steht man mit völlig leeren Händen da, denn es gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip. Fällt man im zweiten Versuch durch, war es das. Damit sind aus beruflicher Perspektive vier bis fünf Lebensjahre verschwendet. Zwar gibt es Rufe nach einem Jura-Bachelor und die Unis in Potsdam und Mannheim bieten ihn bereits an, für den Großteil der Jurastudent*innen in Deutschland heißt es aber weiterhin: bestehen oder untergehen.  

Und auch hier gilt: Bestanden ist nicht gleich bestanden, denn die Note ist für die weitere Karriere sehr wichtig. 0 bis 18 Punkte kann man insgesamt erreichen, wobei die 18 noch NIE jemand geknackt hat. Und die Namen der wenigen, die mal auf 15 Punkte kamen, werden in Ehrfurcht als Legenden auf den Hochschulfluren geflüstert. Die meisten peilen die magischen neun Punkte an, das sogenannte Prädikatsexamen, mit dem man das Richter- oder Staatsanwaltsamt bekleiden kann. Vielen reichen aber schon vier Punkte, mit denen das Examen als bestanden gilt. 

Die Höchstzahl von 18 Punkten bei einem juristischen Staatsexamen hat noch NIE jemand erreicht!

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Die Prüfung gilt als eine der anspruchsvollsten an den deutschen Unis. Abgefragt wird ein Berg aus Wissen zu Strafrecht, Zivilrecht und dem öffentlichen Recht. Kein Wunder also, dass sich die meisten ab dem ersten Tag des Jurastudiums nur auf das Staatsexamen konzentrieren, auch wenn es noch Jahre in der Zukunft liegt. Mit all den negativen Folgen. 

Ich werde schon im ersten Semester gefragt, ob das examensrelevant ist. Ich frage dann, ob man den Stoff überhaupt spannend findet und ihn studieren möchte. Ist es das, was Sie möchten und wenn ja – was davon? Zivilrecht ist etwas ganz anderes als Strafrecht oder öffentliches Recht. Was interessiert Sie denn? Dass wir diesen Leuten keinen Raum zum Atmen geben, macht mich traurig. So möchte ich auch meinen Job nicht wahrnehmen,” erklärt Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Uni Leipzig, die sich für eine Reform des Jurastudiums einsetzt.

Kritik gibt es nämlich auch an der Art und Weise, wie das juristische Staatsexamen durchgeführt wird. Die Kandidat*innen kommen in einen Raum und haben fünf Stunden Zeit für die Prüfung. Dabei müssen sie ausschließlich mit Papier und Stift auskommen. Eine Situation, die nichts mit der späteren Berufspraxis zu tun hat. 

Strategisches Lernen statt Horizonterweiterung 

Im späteren Job entpuppt sich der Großteil des gelernten Stoffes als ziemlich überflüssig. Was welcher Jurist wann wo gesagt hat und wie ein Streitfall geschichtlich ausgegangen ist, spielt de facto keine Rolle. Denn im Referendariat richtet man sich nach dem Bundesgerichtshof. All die (abstrusen) Mindermeinungen hat man dann für die Tonne gelernt. Frustrierend! 

Es ist kontraproduktiv, im Staatsexamen so viel Stoff zu verlangen. Vor allem so viele reine Definitionen und auswendig gelernte Wiedergeben von Meinungsstreitigkeiten, dass die Studierenden davon überfordert sein müssen. So viel kann man gar nicht lernen. So viel muss man auch nicht lernen,” findet Professorin Hoven. 

Für den Großteil geht es nicht ohne ein Repetitorium zur Prüfungsvorbereitung. Rund 70 Prozent nehmen es in Anspruch. Und das hat seinen Preis: ca. 180 € im Monat muss man für die Lernhilfe ausgeben. Wer sich das leisten kann, kann etwas entspannter sein. Das trifft natürlich nicht auf alle zu. Die Extrakosten verursachen bei Studenten mit wenig Geld zusätzlichen Stress. 

Es ist also verständlich, dass viele angehende Jurist*innen ihr komplettes Studium strategisch nach dem finalen Examen ausrichten. Um mal über den eigenen Horizont zu schauen, beispielsweise mit einem Auslandssemester, bleibt keine Zeit. Schließlich kommt britisches oder spanisches Recht nicht im Staatsexamen vor – warum sich also damit beschäftigen? 

Manche Dozent*innen beklagen, dass zu viele ohne Liebe zum Beruf in das Studium gehen. Oft ist ein gut bezahlter und sozial angesehener Beruf ein größerer Antrieb als der Spaß an der Sache. Dass der Umgang mit Mandant*innen und die dafür benötigten sozialen Kompetenzen während des Studiums kaum geschult werden, macht das Ganze nicht besser. 

Druck, dem nicht alle standhalten können

Bereits ab dem vierten bis fünften Semester bekommen die Studis gesagt, dass zehn bis vierzehn Stunden Paukerei am Tag völlig selbstverständlich seien. Wer da nicht mithält, werde es nicht schaffen. No pressure? Von wegen! Der Druck ist allgegenwärtig und führt sogar zum Konkurrenzdenken innerhalb der Kommiliton*innen. So wird schon mal Berichten zufolge ein wichtiger Aufsatz aus dem öffentlichen Handapparat herausgerissen. Sad but true. 

“Gucken Sie bitte nach links und rechts. Diese Kommiliton*innen sehen sie in einigen Semestern nicht mehr.” Wenn Lehrende ihre Seminare so eröffnen, ist Leistungsdruck vorprogrammiert. Wer sich bewährt, fühlt sich schnell elitär. 

Dazu kommt eine Ungleichheit innerhalb der Studentenschaft. So kommt nicht einmal jede(r) dritte erfolgreiche Absolvent*in aus einer Familie ohne Akademiker. Auch Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund haben es nachweislich schwerer. So ist die Prüfungskommission zu ⅔ männlich besetzt. Im zweiten juristischen Staatsexamen schneiden Frauen rund zwei Prozent schlechter ab als Männer. Mehr als neun Punkte erreichen zwölf Prozent weniger Frauen als Männer. Die Wahrscheinlichkeit auf neun Punkte ist mit einem Migrationshintergrund um 70 Prozent (!) niedriger. 

Das alles hat seinen Preis: In keinem anderen Fach wird das Studium so spät abgebrochen. Im Schnitt nach sieben Semestern. Ein Viertel sogar erst nach dem Zehnten. Die Abbruchquote insgesamt beträgt 24 Prozent. 

Stress im Jurastudium, eine gezeichnete Frau mit besorgtem Gesichtsausdruck und umherschwirrenden Gedanken

Macht das Jurastudium krank?

Dieser Frage geht Stefan Wüst, Psychologieprofessor an der Universität Regensburg, nach. Dort leitet er das Forschungsprojekt “JurSTRESS”, dass psychische und psychologische Belastungsreaktionen während der Vorbereitungsphase auf das erste Staatsexamen untersucht. So dient der gemessene Cortisolspiegel als Indikator für Stress. Eine App fragt bei den 500 Teilnehmer*innen auch ihre psychische Verfassung ab. 

Wir gehen davon aus, dass es eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen gibt, die in dieser Zeit so belastet sind, dass sie massiv an Lebensqualität verlieren. Schlafstörungen, große Ängste, somatische Symptome, höhere Anfälligkeit für Infekte, Probleme mit der Verdauung – all diese Dinge. Das ist für uns der Grenzbereich zum Kranksein. Es gibt aber auch einen Anteil, der in dieser stressigen Phase von einem Psychologen die Diagnose für Depressionen oder Angststörungen bekommen würde”, erklärt der Studienleiter. 

Auch leistungssteigernde Drogen wie Ritalin werden oft genutzt, um nicht unter dem Druck zusammenzubrechen.

Kommt bald die Reform?

Es gibt keine guten Gegenargumente gegen den belastenden Aufbau des Studiums, die Ungleichheit bei Menschen mit Nicht-Akademiker- oder Migrationshintergründen sowie der realitätsfernen Prüfungssituation mit Papier und Stift. 

Kommt also bald die Reform? Danach sieht es leider nicht aus. Die Veränderungen fallen so schwer, weil sich die Juristenausbildungsgesetze in jedem Bundesland unterscheiden. Eine Abstimmung zwischen den jeweiligen Justizprüfungsämtern ist schwierig. Und einen Alleingang traut sich keiner zu. Darüber hinaus müsste dafür das Richtergesetz vom Bundestag angepasst werden. 

Fazit

Es ist völlig okay, dass das Jurastudium anspruchsvoll ist. Dieser Beruf eignet sich nicht für alle und erfordert eine jahrelange Vorbereitung und ein großes Fachwissen, welches man an der Universität erlernen soll. Das macht aber keinen der genannten Kritikpunkte wieder wett. Denn nur weil es “schon immer so war”, muss es ja nicht für immer so bleiben. Wir drücken dir ganz fest die Daumen, wenn du dich für diesen schwierigen, aber spannenden und wichtigen Weg entscheidest oder ihn bereits begangen hast.

Dein Studium stresst dich? Wir geben dir 5 Tipps für mehr Freizeit und weniger Stress. Auch die richtigen Nährstoffe können dir zu mehr Entspannung verhelfen. Schau mal rein.

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