Studieren mit ADHS – Teil 2: Wie finde ich das passende Studium?

Wie finde ich das richtige Studium mit ADHS? Der zweite Teil unserer großen Reihe!

Im ersten Teil unserer „Studieren mit ADHS“-Reihe haben wir das Phänomen vorgestellt und erklärt, was in deinem Gehirn anders funktioniert. Wir sind auf deine Superkräfte, aber auch dein Kryptonit eingegangen. Heute beantworten wir die Frage: „Wie finde ich das richtige Studium mit ADHS?“ Denn Entscheidungen treffen fällt ADHSlern besonders schwer.

Wie du sicher stellst, dass dein Studium und die spätere Karriere zu dir passen, auf welche Fallen deines Gehirns du nicht hereinfallen solltest und von welchen Studiengängen du eventuell die Finger lassen solltest, erklären wir in unserem zweiten Teil der „Studieren mit ADHS“-Reihe.

Willkommen in der Wüste der Wirklichkeit

ADHSler weisen oftmals einen emotional-sozialen Rückstand gegenüber dem Rest der Menschheit auf. Sie bleiben länger kindisch, impulsiv-albern und an Naivität grenzend unbekümmert.

All diese Eigenschaften machen sie zu genau den liebenswerten Personen, die sie sind. Allerdings kann es ihnen schwerfallen, in der „Welt der Erwachsenen“ damit auf Verständnis zu stoßen. Gerade Lehrende haben oft wenig Geduld und erwarten bestimmte gesellschaftliche Rituale, die ADHSlern albern vorkommen können oder sie sogar aufgrund ihrer Unsinnigkeit wütend machen.

Jemand mit ADHS kann bei einer Germanistik-Prüfung schon mal die Namen der Romanfiguren vergessen, weil sie nicht wichtig erscheinen. Dabei können die Antworten auf die Prüfungsfragen brillant sein – diese Schludrigkeit wird sehr wahrscheinlich trotzdem zu einer schlechteren Note führen. Frustrierend, aber wahr.

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Das führt schnell zu einer ablehnenden Haltung gegenüber den Dozent*innen und den von ihnen vermittelten Inhalten. Dazu kommt, dass ADHSler in bestimmten Bereichen zwar „spät dran“ sind, dabei aber oftmals einen intellektuellen Vorsprung aufweisen. Wenn man sie unterfordert, schalten sie ab und verpassen so wichtige Informationen. Das mindert den Lernerfolg.

Es stimmt aber auch, dass ADHSler durchaus an der Uni aufblühen und sich nach mittelmäßigen Schulnoten plötzlich an die Spitze katapultieren können. Das liegt daran, dass die Schule ein breites Spektrum an Wissen aus allen möglichen Fächern vermittelt. Und bei Weitem nicht alles ist interessant.

Das Studium wählt man dagegen bestenfalls ausschließlich nach den eigenen Interessen. Und ein interessiertes ADHS-Gehirn kann wahnsinnig effektiv sein.

Wie finde ich das richtige Studium mit AHDS?

Prinzipiell kannst du mit ADHS studieren, was du willst. Die Wahl kann dir jedoch noch schwerer fallen als deinen Mitmenschen. Entscheidungen sind einfach nicht so richtig dein Ding. Für alles gibt es überzeugende Pros und Kontras und dann sind da all diese Möglichkeiten!

Die schiere Menge an Studiengängen und möglichen Zukunftsszenarien können schnell dazu führen, dass du überhastete Entscheidungen triffst, nur um sie zu treffen. Oder du verfällst in eine Art Schockstarre und kommst nicht weiter.

Es gibt einige ADHS-Einhörner unter uns, die genau wissen, was sie machen wollen. Sollte es bei dir der Fall sein: Herzlichen Glückwunsch! Damit bist du eine große Ausnahme.

Lasse dir Zeit – auch wenn es ein Jahr ist

Auch wenn die Gesellschaft dich nach der Schule gerne durch den Studium- bzw. Ausbildungsfleischwolf drehen und sofort auf den Arbeitsmarkt spucken möchte, solltest du dir Zeit lassen. Die Persönlichkeit eines ADHSlers ist in der Regel etwas später gefestigt. Es kann also sehr zielführend sein, ein Auslandsaufenthalt, eine Sprachreise, längere Praktika oder sogar ein Freiwilliges Soziales Jahr vor dem Beginn deines Studiums zu absolvieren.

So bist du voraussichtlich erfahrener und stabiler, wenn der Uni-Alltag über dich hereinbricht. Allenfalls bist du einfach reicher an Erfahrungen und das hält ein Leben lang.

Verschaffe dir ein realistisches Bild deines Wunsch-Studiums

Vielleicht hast du mal gehört, dass Musikwissenschaften ein chilliges Studium mit vielen coolen und spannenden Leuten ist. Und zufälligerweise kannst du die Akkorde von Nirvanas „Smells like teen spirit“ auf der Gitarre klimpern. Vielleicht kannst du später Berufsmusiker werden. Das wäre doch toll, oder?

Mache dir keine Illusionen! Auch das Studium der Musikwissenschaften enthält (viele!) dröge theoretische Aspekte, setzt sich aus ganz unterschiedlichen Herangehensweisen an die Musik zusammen und was den späteren Job als Berufsmusiker angeht…nun ja. Spielst du Lotto?

Noch mal: SEI REALISTISCH!

Was wir damit sagen wollen: Hänge nicht deinen romantisierten Vorstellungen nach, wie die Dinge wohl sein werden. Sorge für Klarheit durch Fakten. Ließ dir die Modulhandbücher deines Wunschstudiums durch, sprich mit Menschen, die es bereits studieren oder mal studiert haben. Mache Praktika, um die Realität deines Wunschberufs kennenzulernen. Geh in eine Vorlesung an der Uni und mache dir ein KONKRETES BILD. Das kannst du meistens ohne Probleme vor dem Studium tun, denn Vorlesungen sind meistens offen für alle.

Wir betonen dies so stark, weil ein ADHS-Gehirn gerne mal vor sich hin assoziiert und nicht nur Luftschlösser, sondern ganze befestigte Luftmetropolen aus dem Nichts zimmert. Umso bedauerlicher ist es dann, wenn die Konstrukte beim Realitätscheck in sich zusammenstürzen. Aber hey – besser, du weißt es vor dem Studium, als es dann enttäuscht abbrechen zu müssen.

Es kann aber durchaus sein, dass dir ein Studium viel mehr liegt als du ursprünglich dachtest, nachdem du dich näher mit dem Thema befasst hast. Folge deinen Interessen, aber unterziehe sie stets dem Reality-Check.

Wenn du dann immer noch begeistert bist – go for it!

ADHS Meme mit Homer Simpson

Folge nicht deinen Freunden

Wie schon gesagt, sind dir als ADHSler persönliche Bindungen besonders wichtig. Das kann dazu führen, dass du dich für dein Studium der Wahl von deinen Freunden anschließt oder in die Fußstapfen deiner Eltern oder Geschwister trittst. Auch wenn daran grundsätzlich nichts auszusetzen ist, solltest du dir bewusst machen, ob du dich auch ohne diese Menschen für dieses Studium und den späteren Job entschieden hättest.

Wenn du dir bei der Antwort nicht sicher bist, lautet sie vermutlich „nein“.

Diese Fragen an dich selbst können dir bei der Wahl deines Studiums helfen:

  • Was sind meine persönlichen No-Gos?
  • Worin bin ich richtig gut?
  • Was sind meine großen Schwächen?
  • Was sind Dinge, die mir Spaß machen?
  • Zu welchen Dingen muss ich mich immer wieder überwinden?
  • Könnte ich einige von ihnen trotzdem ausführen, wenn es mein Studium von mir verlangt?
  • Bis zu welchem Grad bin ich bereit diese Kompromisse zu machen?
  • Welche gesellschaftliche Rolle möchte ich später in meinem Beruf einnehmen?
  • Wie wichtig ist mir Geld und wie viel könnte ich in meinem späteren Job verdienen?

ADHS kommt selten allein

Nicht immer, aber oft, sind ADHSler von weiteren Normabweichungen betroffen. Dazu zählen zum Beispiel die Borderline Persönlichkeitsstörung, Autismus-Spektrum-Störungen, aber auch Legasthenie, Dyslexie und Dyskalkulie. Gerade Letztere sollten bei der Wahl des Studienfachs stark berücksichtigt werden. Mit einer Dyskalkulie stehen die Aussichten auf eine erfolgreiches Mathematik-Studium nicht besonders gut, während Legastheniker*innen große Probleme mit Germanistik & Co. bekommen.

ADHS-Selbsthilfegruppen sind sehr zu empfehlen

Theoretisches Wissen über den eigenen Zustand bekommt man von Fachärzt*innen oder Büchern. Was dort aber oft Mangelware ist, sind die praktischen Erfahrungen der Betroffenen. Dieses kostbare Wissen wird in Selbsthilfegruppen in einem sicheren Rahmen miteinander geteilt. Dort kannst du dich mit Menschen austauschen, die gleiche Probleme kennen wie du und erfahren, wie sie damit umgegangen sind.

Ich finde es total krass, dass es nicht nur mir so geht!“ ist ein Satz, den du in einer Selbsthilfegruppe zu ADHS garantiert früher oder später hören wirst. Neben der Möglichkeit, Fragen zu stellen und zuzuhören, ist es auch wahnsinnig befreien, deine Geschichte mit Leuten zu teilen, die genau wissen, wovon du sprichst.

Gerade in den größeren Unistädten wirst du schnell fündig. Sollte deine Stadt keine ADHS-Selbsthilfegruppe anbieten, sind entsprechende Onlineforen eine gute Alternative.

Literaturtipp: Heiner Lachenmeier – „Mit ADHS erfolgreich im Beruf“

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