Studieren mit ADHS – Teil 3: Outen oder nicht outen?

Menschen im Uni-Umfeld von deinem ADHS zu erzählen kann große Vor- UND Nachteile haben. Wir helfen dir bei dieser Entscheidung!

Im ersten Teil unserer „Studieren mit ADHS“-Reihe haben wir das Phänomen vorgestellt und erklärt, was in deinem Gehirn anders funktioniert. Wir sind auf deine Superkräfte, aber auch dein Kryptonit eingegangen. Heute beantworten wir die Frage: „Wie finde ich das richtige Studium mit ADHS?“ Denn Entscheidungen treffen fällt ADHSlern besonders schwer.

Im zweiten Teil ging es dann um das Finden des richtigen Studiums.

In diesem dritten Teil gehen wir der Frage nach, ob du deinen Kommiliton*innen und Lehrenden von deinem ADHS erzählen solltest oder es lieber für dich behältst. Für beides gibt es nämlich gute Gründe und die Entscheidung sollte nicht leichtfertig und impulsiv getroffen werden.

ADHS outen – eine gute Idee?

ADHS kann dich im Studium belasten, keine Frage. Strukturierung, Zeit- und Arbeitsmanagement, Deadlines, aber auch eine brutale Offenheit und fehlende Filter zur Verarbeitung von Informationen können sehr herausfordernd sein und dich an Grenzen bringen, die andere gar nicht als Grenzen wahrnehmen.

Wie oft hast du schon die Recherche für deine Hausarbeit aufgeschoben, nur um in den letzten drei Tagen halb wahnsinnig einen Marathon durchzuziehen und am Ende eine aus Zeitgründen kaum korrigierte Rohfassung abzugeben? Wäre es nicht schön, wenn deine Dozent*innen wüssten, weshalb dir das Ganze so schwerfällt und mit entsprechender Nachsicht reagieren würden?

Dieser Wunsch nach dem Verstandenwerden ist nur allzu verständlich und natürlich. Wir alle haben ihn, nur die Gründe unterscheiden sich. Lasse dich davon jedoch nicht bei der Frage leiten, ob man in jedem Seminar und jeder Vorlesung von deiner Diagnose wissen sollte.

ADHS outen: Gründe dafür

Wie bereits gesagt, können Personen mit ADHS an Aufgaben struggeln, die andere innerhalb von einer halben Stunde erledigt und vergessen haben. Wenn du also beispielsweise oft zu spät kommst oder dich nicht gut an Abgabefristen halten kannst, kann in deinem studentischen Umfeld der Eindruck entstehen, du seist respektlos, unmotiviert oder faul.

Wenn deine Lehrenden wissen, dass Abgaben für dich ein ständiger Kampf sind, der dir so richtig schwerfällt, können sie darauf Rücksicht nehmen und – vorausgesetzt, sie haben die Empathie – verständnisvoll reagieren.

Nur damit es klar ist – du musst das Uni-Spiel mitspielen, auch wenn es nicht einfach ist. Und eine Sonderbehandlung wirst du nur in den seltensten Fällen bekommen. Wenn man jedoch weiß, womit du zu kämpfen hast, kann man den Rahmen anpassen und dir das Leben ungemein leichter machen. Du kannst zum Beispiel ausmachen, dass du an mehreren Terminen deinen Arbeitsfortschritt vorzeigen musst. Dieser positive Druck kann dabei helfen, nicht die ganze Arbeit auf eine einzige Deadline zu schieben.

Es kann auch dabei helfen, deinen Hyperfokus von einzelnen Aspekten zu lenken und die gesamte Arbeit im Auge zu behalten. Denn du bist nun einmal dort richtig produktiv, wo auch dein Interesse besonders stark ist. Im Unialltag ist aber nicht alles spannend und dröge Dinge gehören eben dazu. Sich zwischendurch immer wieder Feedback zu deinem Arbeitsprozess zu holen, kann dir beim Feintuning helfen.

Es kann nämlich wahnsinnig frustrierend sein, wenn du zu einem bestimmten Kapitel deiner Arbeit sehr viel Energie verbrauchst, die Note am Ende aber trotzdem schlecht ist, weil du andere wichtige Aspekte, aus Desinteresse nur knapp abgefrühstückt hast.

Ich weiß noch genau, wie mein Germanistik-Dozent nach der mündlichen Prüfung zu mir sagte: „Ihre Analyse war sehr gut und scharfsinnig. Dass Sie aber die Namen der Protagonisten nicht wussten und es einfach so abgetan haben, geht so nicht und hat am Ende zu einem Abzug der Punkte geführt.“ Hätte ich ihm vorher erklärt, warum ich mir Namen allgemein kaum merken kann, hätte dieser Dozent immerhin die Wahl gehabt, hier nachsichtig zu sein.

ADHS outen: Gründe dagegen

Vergiss nicht: ADHS ist vielen nach wie vor kaum ein Begriff und wird schnell mit all den gängigen Stereotypen verbunden. In einer perfekten Welt würden sich Menschen, denen du dich anvertraust, mit dem Phänomen beschäftigen und entsprechende Schlüsse daraus ziehen. Aber unsere Welt ist nicht perfekt. Und so kann es passieren, dass du nach deinem Outing in eine Schublade gesteckt wirst, die nichts mit der Realität zu tun hat. Und einmal drin, kommst du so leicht nicht wieder raus.

Du hast selbst kein ADHS aber jemand outete sich bei dir? Höre gut zu und versuche nicht auf Vorurteile zurückzufallen. Frage diesen Mensch, wie du zu einem guten Miteinander beitragen und worauf du achten kannst. Wenn dir diese Person wirklich nahe steht, schadet es auch nicht, sich durch entsprechende Literatur näher mit dem Phänomen zu beschäftigen. Glaube uns - es wird euch beiden sehr gut tun!

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Auch neigen Menschen mit ADHS zu einer Art selbstzerstörerischen Exhibitionismus, was ihre Verfassung angeht. Vergiss nicht, dass du dich immer noch im Kontext eines Studiums befindest. Nicht jeder braucht deinen ganzen Leidensweg zu kennen. Es kann sogar richtig kontraproduktiv sein und den Eindruck erwecken, du würdest versuchen, dich in den Vordergrund zu drängeln.

Du bist es auch niemandem schuldig, über dein ADHS zu sprechen. Auch wenn ADHSler oft zur brutalen Ehrlichkeit neigen, hast du wie jeder andere Mensch auch einen Anspruch auf Privatsphäre. Wenn du deine Diagnose für dich behältst, hat es nichts mit Unehrlichkeit zu tun. Es ist einzig und allein deine Entscheidung.

Mittelweg: Outen ohne Diagnose

Ein guter Mittelweg ist ein ehrliches Gespräch, ohne die ADHS Diagnose und all die damit verbundenen Vorurteile zu erwähnen. Es kann schon helfen zu erklären, dass dir Selbstorganisation sehr schwerfällt und du deswegen etwas mehr Hilfe oder Kontrolle brauchst. Verständnisvolle Dozent*innen werden deine Ehrlichkeit schätzen und bemerken, dass du dir Gedanken um gute Ergebnisse machst. Damit wirst du schon ganz anders wahrgenommen, als wenn du einfach Deadline nach Deadline verhaust.

Wenn du genug Vertrauen aufgebaut hast und merkst, dass du mehr preisgeben möchtest, kannst du es später immer noch tun. Nur umgekehrt funktioniert das Ganze nicht. Steht ADHS einmal im Raum, bleibt es dort.

Überlege dir also gut, wem du was und wozu offenbarst. Du hast sehr wahrscheinlich ein gutes Gespür für Menschen und ihre Fähigkeit zur Empathie. Beobachte und lass dir im Zweifel etwas mehr Zeit, um dein Gegenüber einzuschätzen. Dann wirst du auch garantiert die für dich richtige Entscheidung treffen.

Literaturtipp: Heiner Lachenmeier – „Mit ADHS erfolgreich im Beruf“

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